BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Ein Netzwerk für Gesundheit in Europa

Das europäische System für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln ist weltweit einzigartig. In einem Netzwerk von rund 50 nationalen Regulierungsbehörden und der Europäischen Arzneimittel-Agentur arbeiten Tausende von Expertinnen und Experten zusammen. Wissenschaftliche und technologische Entwicklungen stellen neue Anforderungen an die Zusammenarbeit.

Über ihre Zusammenarbeit und die Zukunft des europäischen Netzwerks zur Arzneimittelregulierung sprechen die Direktorin der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) Emer Cooke und der Präsident des BfArM Prof. Dr. Karl Broich.

Die Pandemie hat das Thema Arzneimittelregulation in einem Maße in den Blick der Öffentlichkeit gerückt, wie es in der Vergangenheit kaum vorstellbar war. Hat sich die (Zusammen-)Arbeit von EMA und den nationalen Zulassungsbehörden dadurch verändert?

Karl Broich

Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

Wir sehen diese Dynamik sehr positiv und als Chance für die Patientinnen und Patienten in der EU. So hat die Pandemie bestimmte Entwicklungen im Gesundheitsbereich enorm beschleunigt – nehmen wir nur das Beispiel Digitalisierung. Gleichzeitig wurde deutlich, wie sehr es auf die Zusammenarbeit im EU-Netzwerk ankommt, etwa, indem wir auf gemeinsame Daten zugreifen können. Letztlich sind durch die Pandemie neue Formen der Zusammenarbeit entstanden, die allen zugutekommen - wie die Einrichtung einer digitalen EU-Datenbank rund um Lieferengpässe, die den Austausch zwischen der EMA und den nationalen Behörden erleichtert. Unser gemeinsames Ziel ist es daher, diese Dynamik zu nutzen, um unsere Erkenntnisse in nachhaltige Systeme und Prozesse umzusetzen.

Emer Cooke

Geschäftsführende Direktorin der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)

Unser regulatorisches Netzwerk ist ein kollaboratives Modell, das heißt, die Zusammenarbeit läuft unabhängig davon, ob eine Krise herrscht oder nicht, immer weiter. Während der Pandemie war unsere Arbeit mit den EU-Partnern und den nationalen Regulierungsbehörden erstaunlich: Wir arbeiteten zusammen, stimmten unsere Prozesse ab und beschleunigten sie, und zwar sowohl proaktiv als auch bei Bedarf. Entscheidend ist hier, zu gewährleisten, dass der Geist und die Energie hinter diesen gemeinschaftlichen Bemühungen nicht verlorengehen, wenn sich erst einmal wieder Normalität eingestellt hat. Die Arzneimittelregulierung hat in keiner Weise an Bedeutung eingebüßt, und es stellen sich ständig neue Herausforderungen wie beispielsweise Lieferengpässe bei Medikamenten oder Antibiotikaresistenzen, zu deren Lösung derselbe gemeinschaftliche Ansatz erforderlich ist. Wir wissen, dass wir viel mehr erreichen können, wenn wir effektiv zusammenarbeiten.

Die Verordnung über das erweiterte Mandat der EMA ist im März 2022 in Kraft getreten. Die EMA hat mehr Befugnisse erhalten und erfüllt mehr koordinierende Aufgaben als zuvor. Wie wirkt sich das auf das Netzwerk für Europäische Arzneimittelzulassung aus? Verschieben sich hier Entscheidungskompetenzen?

Karl Broich

Das erweiterte Mandat hat nichts an der grundsätzlichen Gestaltung des europäischen Regulierungsnetzwerks geändert. Darin ist die EMA genau wie das BfArM Mitglied des sogenannten „Netzwerks der Leiter der nationalen Behörden“, HMA abgekürzt. Wir nutzen darin gemeinsam unsere Ressourcen und unsere Expertise, um eine gute Gesundheitsversorgung in Europa sicherzustellen. Da sich die Gesellschaft verändert und weiterentwickelt, müssen auch wir uns weiterentwickeln, um diesen Auftrag bestmöglich zu erfüllen. Dass die EMA beispielsweise künftig in definierten Krisensituationen eine koordinierende Funktion einnimmt, kommt allen zugute. Letztlich sind es ja die nationalen Expertinnen und Experten, die in den Gremien der EMA arbeiten – auch in solchen, die im Rahmen des erweiterten Mandates entstehen. Es geht hier also nicht darum, Kompetenzen von nationalen Behörden wegzunehmen. Wir sprechen vielmehr darüber, wie wir unsere gemeinsame Arbeit künftig noch besser organisieren, wie wir uns in Krisenzeiten optimal abstimmen. Das erweiterte Mandat hat auf diese Weise eine spürbare Wirkung auf den schnellen und effizienten Austausch zwischen den nationalen Regulierungsbehörden und der EMA.

Emer Cooke

Die Pandemie hat die beste Seite unseres Netzwerks in Aktion gezeigt: Wir haben unser gesamtes Wissen in die Waagschale geworfen, unsere Prozesse abgestimmt, mit unseren EU-Partnern zusammengearbeitet und damit das größte Impfprogramm in der Geschichte Europas auf den Weg gebracht. Das wäre ohne eine zentrale Koordinierungsstelle überhaupt nicht möglich gewesen. Das erweiterte Mandat trägt der Art und Weise Rechnung, wie sich die EMA auf die Pandemie eingestellt und neue Verantwortungsbereiche wie den Umgang mit Arzneimittelengpässen und der Krisenkoordinierung übernommen hat. Es werden keine Entscheidungsbefugnisse auf nationaler Ebene abgezogen, sondern es wird unsere Fähigkeit als Netzwerk verbessert, im Krisenfall zusammenzuarbeiten, unsere Tätigkeit abzustimmen und zu gewährleisten, dass wir gemeinsam besser vorbereitet und für kommende Krisen bereit sind.

Von der präklinischen Forschung bis zur Pharmakovigilanz: KI-Tools spielen im regulatorischen Geschäft eine immer größere Rolle. Beispielsweise lässt sich KI einsetzen, um einen Zusammenhang zwischen individuellen Patientenmerkmalen und Wirksamkeit eines Medikaments herzustellen. So könnte man dann die optimale Probandengruppe für klinische Studien ermitteln. Blicken wir in die Zukunft: Wird die Expertise der EMA und der nationalen Zulassungs­behörden irgendwann nicht mehr gebraucht?

Emer Cooke

KI hat vielfältige Einsatzmöglichkeiten und das Potenzial, die internen Prozesse der EMA und den gesamten Produktlebenszyklus zu beeinflussen. Da sie bei der Arzneimittelentwicklung eine immer größere Rolle spielt, gehen wir davon aus, dass sich die Marktzulassunganträge für die von uns zugelassenen Medikamente inhaltlich ändern werden. Aber es wird auch Chancen zur Effizienzsteigerung unserer Verfahren und eines Teils der entsprechenden Verwaltungsarbeit geben. Als Regulierungs­behörden haben wir sicherzustellen, dass die Vorteile der KI die Risiken überwiegen, und wir haben wie bisher dafür zu sorgen, dass die Gesundheit der Patientinnen und Patienten immer an erster Stelle steht. Da der Einsatz von KI in der Arzneimittelentwicklung auch weiterhin zunehmen wird, werden sich die Patientinnen und Patienten bei uns rückversichern wollen. Es wird immer darauf ankommen, dass unsere nationalen Expertinnen und Experten die Integration von KI mitsteuern. Sie sorgen auch dafür, dass die Sicherheit bei der Weiterentwicklung der Technologie gebührend beachtet wird. Und dass die Vorteile der KI allen klar sind.

Karl Broich

Es gibt rund um den Einsatz der KI besondere Herausforderungen. Wir reden hier über die Entwicklung von Arzneimitteln und damit letztlich über die sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten. Die Prozesse sind von einer hohen Dynamik geprägt. Dementsprechend passen auch wir als nationale Regulierungsbehörden unsere Instrumente und Herangehensweisen laufend an. Das BfArM steht dabei im Austausch mit den maßgeblichen Akteuren, und wir verstehen uns hier auf EU-Ebene ganz klar als Treiber. Natürlich ist dabei die Zusammenarbeit mit der EMA ganz entscheidend. Am Ende haben wir ja alle ein gemeinsames Ziel und wollen für die Versorgung der EU-Bevölkerung das beste Ergebnis erreichen. Das wird auch in Zukunft nur mit dem Input aller nationalen Expertinnen und Experten möglich sein.

Was genau beinhaltet dieser Input?

Karl Broich

Der Einsatz von KI in der Arzneimittelentwicklung ist für uns alle etwas Neues und bringt eine entsprechende Komplexität mit sich. Um hier auf EU-Ebene optimal zu agieren, ist die frühzeitige Interaktion mit den nationalen Regulierungsbehörden und der EMA ein wichtiger Baustein etwa im Rahmen der „HMA-EMA joint Big Data Steering Group“ der HMA und EMA, die bei der Festlegung von Prioritäten und der Planung von Maßnahmen berät. Der Arbeitsplan zielt darauf ab, den Nutzen von Daten und KI in der Regulierung zu erhöhen – von der Datenqualität über Studienmethoden bis hin zur Bewertung und Entscheidungsfindung.

Emer Cooke

Die EMA arbeitet mit unseren Partnern auf EU- und internationaler Ebene daran, das volle Potenzial von KI-Tools für alle Patientinnen und Patienten innerhalb der EU nutzbar zu machen. Unsere nationalen Expertinnen und Experten spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Als Netzwerk arbeiten wir eng zusammen und setzen unsere gesamte Expertise ein, um die sich bietenden Chancen maximal ausnutzen zu können. Anstatt bloß darauf zu warten, wie KI unser Arbeit disruptiv stört, machen wir uns die Möglichkeiten der KI für unsere Arbeit und Prozesse und letztlich für das Leben der Patientinnen und Patienten in der EU zunutze. Gleichzeitig sorgen wir für angemessene Sicherheitsmaßnahmen. Es geht nicht darum, KI anzuwenden, sondern KI und KI-spezifische Fähigkeiten in unserem gesamten Netz weiterzuentwickeln.

Welchen Einfluss wird der Entwurf des neuen EU-Arzneimittelrechts auf unsere regulatorische Arbeit haben?

Emer Cooke

Als Regulierungsbehörden haben wir dafür Sorge zu tragen, dass die Patientinnen und Patienten Zugang zu sicheren und wirkungsvollen Medikamenten haben. Die Revision des EU-Arzneimittelrechts ist eine einmalige Gelegenheit, die Arzneimittelgesetzgebung innerhalb der EU neu zu gestalten. Es wird uns dabei helfen, den Einsatz der begrenzten Ressourcen innerhalb des Netzwerks rationaler zu gestalten und die komplexen regulatorischen Prozesse als Grundlage eines zukunftssicheren Systems effektiver zu handhaben. Die Europäische Kommission hat einen EU-weiten regulatorischen Rahmen vorgelegt, der sich für innovative Arzneimittel eignet, den Zugang zu Arzneimitteln erleichtert und den kommenden großen Herausforderungen im Gesundheitsbereich Rechnung trägt.

Karl Broich

Unser derzeitiges Arzneimittelrecht ist diesen neuen Herausforderungen nicht gewachsen. Daher stimme ich Frau Cooke uneingeschränkt zu, dass wir das Arzneimittelrecht umgestalten und neuen Verfahren, neuen Methoden, dem Einsatz von Big Data und KI in allen Phasen der Medikamentenentwicklung und -überwachung Rechnung tragen und für die Patientinnen und Patienten das Beste daraus machen müssen. Die gemeinsame Arbeit an diesem Ziel gibt uns einen im Vergleich zu anderen Regionen konkurrenzfähigen regulatorischen Rahmen an die Hand, der die Verfügbarkeit, den Zugang und die Erschwinglichkeit von Arzneimitteln verbessert, aber auch die Diversifizierung der Produktion und die Minderung von Risiken für Engpässe fördert – und das alles im Interesse der Patientinnen und Patienten. Ich kann Ihnen also versichern: Wir verstehen die Notwendigkeit des Wandels, und unser Netzwerk will sich wandeln, damit wir unsere Aufgabe in Zukunft noch besser erfüllen können – und die neue Gesetzgebung schafft den nötigen Rahmen dazu.

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